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Edeldrucke oder: die Überlistung des photographischen Realismus
in der Kunstphotograhie der vorletzten Jahrhundertwende.

Text: D. Münzberg (Hamburg,1999)

 

Der Grundstein der Photographie wurde um 1829 mit der Entwicklung der Daguerreotypie in Frankreich und der Kalotypie in England gelegt. Beide Verfahren waren in der Lage, das von der Kamera erzeugte Bild präzise auf lichtempfindlichem, silberbasiertem Material zu fixieren. Was die Detailgenauigkeit betrifft, war die von Louis Jaques Mandé Daguerre (1787‐1851) entwickelte Daguerreotypie (seitenverkehrtes Unikat auf dünner, mit Silber beschichteter Kupferplatte) in ihrer Eleganz der von William Henry FoxTalbot (1800‐1877) entwickelten Kalotypie, auch als Talbotypie (Positiv-Negativ-Verfahren) bezeichnet‚ zunächst weit überlegen. Die Papierstruktur verhinderte eine angemessene Detailgenauigkeit. Durchgesetzt hat sich aber bekanntlich das flexiblere Talbot-Verfahren, das eine serielle Vervielfältigung der Aufnahme zuließ.

Daguerre, Maler und Schöpfer des damals beim bürgerlichen Pariser Publikum sehr beliebten ,Diorama‘ – ein begehbares, durch szenische Darstellungen erweitertes Panoramagemälde mit täuschenden Realitätseffekten – faszinierte in erster Linie die äußere Affinität des neuen Mediums zur Malerei und dessen Nutzung in genau diesem Sinne. Für Talbot hingegen waren von Anfang an die medialen Komponenten der neuen, technischen Bilder Gegenstand seiner wissenschaftlichen Forschungen.
Talbots sprachliche Ausführungen in Pencil of nature, dem ersten Photographiebuch mit eingeklebten Originalphotographien von ihm selbst, beschäftigten sich ausführlich, manchmal visionär, mit den Eigenheiten seiner neuen Entdeckung und dem gezielten Gebrauch des Salzprints.
Und obwohl die Photographie bereits von Anfang an vergleichsweise scharfe und mathematisch genaue Bilder hervorbrachte, vor allem die Daguerreotypie überzeugte durch erstaunlichen Detailreichtum, waren die ersten Jahrzehnte des neuen Mediums noch vielfach geprägt vom technisch/naturwissenschaftlichen Experiment zur Erzielung noch schärferer und exakterer Abbildungsqualität mit immer kürzerer Belichtungszeit. Verständlich, wenn man bedenkt, daß Belichtungszeiten im Sekundenbereich oder darunter damals noch nicht zu realisieren waren. Künstlerische Absicht gehörte zunächst nicht zum Repertoire der neuen Lichtbildner – treffender sollte man sagen Chemiekünstler –, auch wenn manche Bildikonen aus den 30/40er Jahren des 19. Jahrhunderts scheinbar das Gegenteil vermuten lassen und heute in diesem Sinne rezipiert werden.

 

Die Porträts von David Octavius Hill (1802‐1870) und Robert Adamson (1821‐1848) aus dem Edinburgh der 1840er Jahre haben bis heute nichts von ihrer charismatischen Ausstrahlung verloren. Hill, Maler und Kompagnon des Photographen Adamson, erkannte sehr bald die sich aus der Unzulänglichkeit der Technik ergebende Stärke des Mediums: „Die rauhe Oberfläche und unregelmäßige Struktur des Papiers sind die Hauptursachen dafür, daß die Kalotypie, was die Details angeht, hinter dem Daguerreotypieverfahren zurückbleibt – aber gerade hierin liegt ihr Leben.
Die Bilder wirken wie das unvollkommene Werk eines Menschen – und nicht wie das vollkommene, doch stark herabgeminderte Werk Gottes.“ (1)
In diesem Sinne versteht man auch die Aussage Ernst Juhls, wenn er 1910 bemerkt: „Die Wiege der künstlerischen Photographie ist Schottland.“ (2)

Einzelne Porträts von Julia Margarete Cameron (1815‐1879) (3) aus den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts geben, neben den berühmten Porträts des Pariser Photographen Nadar (Gaspard Félix Toumachon, 1820‐1910), ebenfalls ein frühes Zeugnis von der schöpferischen Kraft der Photographie und ihrer Protagonisten.

Die Weiterentwicklung der photographischen Technik, das Erheben der Kameraoptik über die Schwäche des menschlichen Auges und die Verfeinerung des Speichermediums (Negativmaterial) wurden neue, wissenschaftliche Disziplin des aufklärerischen Mediums. Die Entwicklung war rasant und die „Fülle des Wirklichen [in der] Photographie überstieg die Möglichkeiten der menschlichen Wahrnehmung in einem geradezu bestürzenden Maße.“ (4) Wissenschaftliches Bemühen in wechselseitigem Anspruch der Photographen an eine gesteigerte Präzision, an immer kürzere Belichtungszeiten, bestimmten anfangs den Gebrauch der Photographie.

Die im medienphilosophischen Diskurs bis heute signifikante Frage nach der Wirklichkeitsbemächtigung in der Photographie, ihrem Charakter eines, So-ist-es‐gewesen‘ (5), durchzog, vorwiegend als affirmative Position, die Entwicklung der Photographie jahrzehntelang wie ein roter Faden, und verhinderte damit langfristig eine Selbstdefinition des Mediums, die die künstlerische Wertigkeit der Photographie über deren Nützlichkeit stellte. Einzelne Versuche, dieses Postulat der Nützlichkeit des neuen Mediums, seiner Detailgenauigkeit zum Trotz, zu durchbrechen, etwa mit konstruierten und montierten Bildern (die Kunstphotographien Henry P. Robinsons ab 1860) oder mit von Schauspielern in Szene gesetzten, metaphorischen Darstellungen bestimmter Aspekte des menschlichen Lebens (Oscar Gustav Rejlander, Two ways of life (1857), wurden mit Ablehnung und Unverständnis quittiert und durch konservative Kulturpolemik öffentlich disqualifiziert. Notorisch tief saß die Angst der Künstler und Kunstinteressierten, dass sich die Photographie, die jene lediglich als Instrument realistischer Spurensuche akzeptieren mochten, auch an der Kunst versuchen könne.

Ein neues Selbstverständnis der Photographie hinsichtlich ihrer durchaus vorhandenen Disposition, die Dingwelt über die gesicherte Selbstabbildung hinaus zu interpretieren, war hier noch nicht in Sicht, zumal sich die neue Bildkunst willig in den Schatten traditioneller ästhetischer Vorstellungen begab (6). Der Gedanke, dass die Wirklichkeit und ihre Signatur im photographischen Abbild quasi eins zu eins identisch seien, blieb unantastbar, und wurde für die kommerziellen Porträtphotographen zum Alptraum, aus dem sie sich zu befreien suchten, indem sie Pose und Kulisse bemühten.
Die Sperrigkeit des Mediums nötigte zur Substitution der Realität durch das ritualisierte Posenbild. Fritz Kempe schreibt in diesem Zusammenhang treffend: „Es ist eine bemerkenswerte Tatsache, dass der Tiefstand der Photographie im künstlerischen Sinne mit den außerordentlichen Fortschritten in der Technik zusammenfällt.“ (7)

Die Historiker mögen Nachsicht üben, ob der fast unerlaubten Kürze der Schlussfolgerung, dass die Photographie ihre Bedeutung als künstlerische Technik erst im ausgehenden 19. Jahrhundert erlangte, in der als ,Kunstphotographie‘ bekannten Phase in der Geschichte dieses Mediums – einer Bewegung, die auch als Reaktion auf die oben skizzierten Bedingungen verstanden werden kann.

Mit den sogenannten ‚Edeldruckverfahren‘ wurde Berufsphotographen wie um Kunst bemühten Dilettanten das Instrument in die Hand gegeben, mit dem ein entscheidender weiterer Schritt möglich war: es gestattete den Eingriff der menschlichen Hand in den technisch‐apparativen Ablauf der Photographie, auf Basis eines manipulierbaren, in höchstem Maße subjektiv zu beeinflussenden photographischen Prozesses. Die Photographie sollte sich von nun an mehr über ihre ästhetischen Qualitäten legitimieren und nicht nur Kulisse und Reproduktion von Wirklichkeit bedeuten.

Die „Forderungen der Avantgardisten, dass die Photographie der Kunst gleich als Wandbild in einem unvergänglichen Verfahren, dem Pigmentdruck oder dem Gummidruck, auftreten müsse“ (8), blieben nicht ungehört. Mit der Ausstellung und Akzeptanz solcher ,manipulierten‘ Bilder in den großen, internationalen Bilderschauen begann auch das Postulat des photographischen Realismus aufzuweichen.

Jene Authentizität, die stets als zentrales Charakteristikum eines mittlerweile etwa 50Jahre alten Mediums Photographie gegolten hatte, verlor damit an Evidenz. Zudem stand jene authentische Genauigkeit der photographischen Abbildung einer damals sehr populären wissenschaftlichen Auffassung im Wege, nach der sich die menschliche Wahrmehmungsstrategie am physiologischen Sehvermögen mit seiner relativen Unschärfe orientiere und nicht bloß an der theoretischen Optik des Auges.

Die Photographie, die sich nun, in gleicher Weise wie seit je die Malerei, plötzlich aus einem Kulturprozess heraus zu verstehen begann, erkannte ihre Perspektive zu dieser Zeit am ehesten in einem Ansatz wie dem der Impressionisten. Vielleicht eine unangemessene Simplifizierung, verständlich aber, da sich die Photographie in dem selben geistigen und kulturellen Spannungsfeld bewegte, wie andere Künste auch.

Zur Erreichung ihrer Ziele bedienten sich die Photographen unter anderem der Edeldruckverfahren, die im sogenannten  ,Gummidruck‘ einen Höhepunkt ihrer Entwicklung fanden – einer Kopiertechnik, die Manipulation in nahezu jeder Hinsicht erlaubte und Bilder mit größter malerischer Wirkung hervorbrachte. Große, attraktive Formate waren dabei ebenso möglich, wie eine gezielte Farbgestaltung. Eine spektakuläre Entwicklung angesichts der Tatsache, dass die Photographie bis zu diesem Zeitpunkt in der Regel nur schwarzweiße Bilder produzieren konnte. Plötzlich waren es die photographischen Kopierverfahren selbst, die im Mittelpunkt des ästhetischen Interesses standen und die Berufsphotographie aufschreckte, die an ihren ritualisierten Banalitäten zu ersticken drohte.

 

Die Bewertung der kunstphotographischen Bewegung um die Jahrhundertwende ist von den Kunsthistorikern inzwischen hinreichend geleistet worden. Viele Bilder aus dieser Zeit erscheinen uns heute viel zu romantisch, kitschig und in ihrem Duktus näher an der Malerei als an der Photographie. Ordnet man die Entwicklungen jedoch in ihren zeitlichen Kontext ein, muß man feststellen, dass in dieser Zeit zum ersten Mal die technische Objektivität des photographischen Prozesses konsequent reflektiert und radikal in Frage gestellt wurde.
Die Impulse dazu kamen aus den neu gegründeten Amateur-Photographenvereinen, in denen sich das photographisch interessierte Bildungsbürgertum zusammenfand. Der Zwangsläufigkeit eines technisierten photographischen Prozesses wurde eine klare Absage erteilt. Die schöpferische Handschrift des Photographen war gefragt, nicht die Authentizität der Abbildung. Das folgende Zitat kennzeichnet deutlich die Position des neuen Kunstphotographen: „Denn eigentlich erst beim Abzug intervenieren das Gefühl und das Können des Menschen, und jetzt erhält seine Entscheidungsgewalt ihre Revanche gegen die automatische Gewalt des Verfahrens. Das Negativ ist Sache der Maschine, aber der Abzug ist Sache des Menschen, so wie der Stil der Mensch ist. Deswegen erkennt man manchmal das harte und flache Negativ in dem schimmernden und fein modellierten Bild nicht wieder, das der Künstler gemacht hat.“ (9)

 

Um all diese Erkenntnisse geht es heute in der Photographie nicht mehr, die Rolle des Mediums in der Kunst ist hinreichend geklärt – sowohl was den Apparat als auch den Prozess angeht. Fotokunst arbeitet heute mit den unterschiedlichsten Verfahren und Verfahrenskombinationen und hat darüber hinaus durch die ‚digitale Revolution‘ eine  erhebliche Erweiterung ihres Spektrums erfahren. Heute hat sich eine Situation des differenzierten und bewussten Umgangs mit den vielfältigen Möglichkeiten des Mediums auf einer sehr breiten Basis entwickelt. Dort, wo die dargestellten historischen Kopiertechniken heute wieder zur Anwendung kommen, sind die Gründe deshalb meist ästhetischer Natur; Fragen der Haltbarkeit sind kaum noch ausschlaggebend, da moderne Fotomaterialien unter diesem Gesichtspunkt völlig ausreichend sind.

Im Folgenden wurde versucht, einige der wichtigsten Kopierverfahren der Jahrhundertwende praktisch nachzuvollziehen, um die zum Teil hochkomplizierten Arbeitsgänge auch für Laien transparent zu machen. Ausgangsmaterial war für uns ein Repro-Negativ des Originalabzugs, was zur Folge hat, dass manche Drucke dem Original nur annähernd entsprechen. Zudem muss man berücksichtigen, dass durch die individuelle Bearbeitung der Kopie durch den Künstler das Ergebnis sehr stark von dessen persönlicher Handschrift geprägt war. Und hier wird es schwierig für Nachmacher: Wir müssen mit den gleichen Verfahren, die konsistente Ergebnisse und geradlinige Reproduktion eines Negativs prinzipiell nicht zulassen, eben diesen persönlichen Duktus der Bilder herausarbeiten, also möglichst nahe an der Vorlage bleiben – ein problematisches Unterfangen.

Wir hoffen trotzdem, dass mit den nachfolgenden Seiten das eine oder andere Geheimnis der Edeldruckverfahren für den Laien gelüftet­­ wird, und dass unter diesem Eindruck eine andere Sicht auf die kunstphotographischen Arbeiten um 1900 ermöglicht wird.

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